Er arbeitet seit 1986 für den Caritasverband Emsdetten-Greven und steht seit 25 Jahren an dessen Spitze. Im Gespräch für diese Zeitung wirft der gelernte Sozialarbeiter einen Blick zurück auf die Entwicklung in zweieinhalb Jahrzehnten, erklärt wie er den Verband aktuell aufgestellt sieht und welche Herausforderungen anstehen - und er sagt, warum der Begriff "Feinkostladen" für den katholischen Wohlfahrtsverband in Emsdetten, Greven und Saerbeck passt.
Herr Stelljes, erinnern sie sich noch? Wie war das, als sie im Herbst 1994 auf dem Chefsessel des Caritasverbands Platz nahmen?
Bernward Stelljes: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle waren alle versammelt, der Vorsitzende war auch da. Mein Vorgänger war nur wenige Jahre im Amt gewesen. Es gab da Skepsis, als ich die neue Aufgabe übernahm. Ich hatte vorher beim Verband in der Suchtberatung gearbeitet. Und jetzt war einer aus dem eigenen Haus der Chef. Einfach mal Mittagessen mit den Menschen, die gerade noch die Kollegen in der Abteilung waren - das wurde komplizierter.
Sie sind damals mitten hinein gekommen in bewegte Zeiten im sozialen Bereich. Wie haben Sie das in den ersten Jahren erlebt?
Bernward Stelljes: Da war schnell ein Gefühl, dass ich einer gewissen Naivität aufgesessen war. Niemand konnte genau sagen, wie es um den Caritasverband eigentlich bestellt war. Unter anderem mit der Einführung des ersten Teils der Pflegeversicherung 1995 veränderte sich der Förderrahmen völlig. Statt Pauschalzuschüssen kamen die Fachleistungsstunden. Es entstand eine Konkurrenz zwischen den Anbietern - der Beginn der Kapitalisierung der sozialen Dienste. Wir waren schon in schwerer See, und es wurde noch windiger. Aber es gelang, den Caritasverband innerhalb von zwei Jahren so zu entwickeln, dass es mehr Struktur und Sicherheit gab. Ein wichtiges Symbol und Signal war die Renovierung des Caritas-Hauses in Emsdetten 1996/ 1997. Es zeigte nach außen und nach innen: Der Caritasverband wagt Neues, ohne das Alte abzureißen. "Man darf nie vergessen, woher man kommt", dieser Spruch meines Vaters war und ist für mich ein wichtiger Leitsatz.
Sie sprechen vom Caritasverband manchmal als "Feinkostladen". Was meinen Sie damit?
Bernward Stelljes: Gerhard Leuschner, unser langjähriger Supervisor und Organisationsberater und zusammen mit dem langjährigen Verbandsvorsitzenden Pfarrer Bernhard Volkenhoff eine prägende Person für mich, hat mich zu Beginn gefragt: Wollen Sie einen Großhandel oder einen Feinkostladen? Wir sind im Kreis Steinfurt der kleinste Caritasverband. Bei dem Begriff Feinkost denken wir nicht an etwas Elitäres, sondern an die Qualität unserer Leistungen.
400 Hauptamtliche im Caritasverband, wo ist da der Unterschied zum Großhandel?
Bernward Stelljes: Wir haben keine eigene große Werkstatt für Menschen mit Behinderung, aber in der Behindertenhilfe das Haus Tobias in Greven, das Grotthoff-Dahlmann-Stift in Emsdetten und demnächst die neue Einrichtung in Reckenfeld. Wir haben uns nie in der stationären Altenhilfe engagiert, sind aber ein großer Anbieter bei der ambulanten Pflege und auch beim ambulant betreuten Wohnen für Menschen mit Behinderung. Wir haben ein breit aufgestelltes Angebot an Beratungsstellen, sind aber auch viel vor Ort, in Kitas zum Beispiel, und Netzwerken. Wir besetzen Nischen wie die Arbeit mit hörgeschädigten Menschen, bei der wir unter anderem eine Dependance an der Münsterland-Schule betreiben. Und mit mehr als 150 Ehrenamtlern an vier Ausgabestelle in Emsdetten, Greven und Saerbeck ist die Caritas-Tafel schon längst keine Nische mehr.
Welchen Stellenwert hat das freiwillige Engagement im Caritasverband?
Bernward Stelljes: Wir hätten vor 25 Jahren nie daran gedacht, dass die Freiwilligenarbeit bei uns solche Dimensionen annimmt. Verstärkt in den letzten Jahren, hat sich der Caritasverband zu einem Anker für Ehrenamt entwickelt, unter anderem bei der Pfarrcaritas in den Kirchengemeinden. Die Ausgabestellen der Tafel, der Ambulante Hospizdienst Emmaus, das Freiwillige Engagement für Eltern (FEE), der Einsatz in der Behindertenhilfe oder in der Flüchtlingshilfe: Wir haben eine vom Hauptamt unterstützte, regelrechte Freiwilligen-Szene, für die wir sehr dankbar sind. Das Ehrenamt gibt dem Caritasverband nochmal ein anderes Gesicht. Und es waren die Ehrenamtler, die zum Beispiel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise ab 2015 in der Tafel ganz schnell zusätzliche Ausgabemöglichkeiten organisiert haben.
Wo sehen Sie im Verband die Rolle des Vorstands?
Bernward Stelljes: Mir liegt daran, zusammen mit Menschen etwas zu entwickeln, soziale Dienstleistungen zu organisieren und die Strukturen dafür zu schaffen. Es ist für mich ein fortlaufender Prozess, Menschen zu finden, die Lust haben, sich darauf einzulassen. Heute sind wir strukturell und finanziell stabil, aber wir müssen wach bleiben und veränderungsbereit. Und dann geht es darum, eine Konfliktkultur zu entwickeln. Wir haben im Verband jeden Tag mit Konflikten von Menschen zu tun, die wir professionell händeln müssen. Daran ist ständig zu arbeiten.
Apropos Konflikt: Der Caritasverband ist eine katholisch-kirchlich geprägte Einrichtung und zugleich ein mittelständisches Unternehmen. Wie verträgt sich das?
Bernward Stelljes: Das Unternehmen muss sowohl betriebswirtschaftlich geführt werden, als auch christliche soziale Positionen vertreten. Dieses führt ein ums andere Mal in Widersprüche, die es auszuhalten gilt. Insofern finde ich, unsere Orientierung ist und bleibt das christliche Menschenbild.
Wie sehen Sie den Caritasverband in seinem Umfeld aufgestellt?
Bernward Stelljes: Ich glaube, wir haben zu den Kommunen ein respektables Verhältnis und sind dort und auch beim Kreis und dem Landschaftsverband als verlässlicher Träger im Blick. Unser Verhältnis zu den Kirchengemeinden ist in den letzten Jahren positiv gewachsen. Mein Eindruck ist, dass unsere Angebote Anerkennung finden.
Wo liegen aktuell Herausforderungen und Handlungsschwerpunkte?
Bernward Stelljes: Das Gesicht der bundesweiten Caritas-Kampagne "sozial braucht digital" ist Christine, Bewohnerin unseres Grotthoff-Dahlmann--Stiftes. Auch wir als Verband passen uns gerade an die digitale Lebenswirklichkeit besonders jüngerer Menschen an, wollen stärker in die sozialen Netzwerke, in die Onlineberatung, in E-Learning-Plattformen für Mitarbeiter. Nachhaltigkeit ist ein weiteres Zukunftsthema für uns. Von Blockheizkraftwerken und Geothermie über Solarstrom und E-Autos bis zu fair gehandeltem Kaffee und Tee fangen wir an, Umwelt und Nachhaltigkeit stärker in den Blick zu nehmen. Fachlich kommt auf uns im nächsten Jahr die Umsetzung des Bundesteilhabegesetztes zu. Unser Neubau des Wohnhauses für Menschen mit Behinderung in Reckenfeld wird in die Umsetzung einbezogen.
Weniger Luft nach oben scheint, aus Verbandssicht, auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Wie sieht es da aus?
Bernward Stelljes: Der Zivildienst ist vor langer Zeit weggefallen. Er hatte besonders jungen Männern den Kontakt mit sozialen Berufen ermöglicht. Das Freiwillige Soziale Jahr ist da kein Ersatz. Zugleich gibt es eine fortschreitende Spezialisierung in den Berufsfeldern. Diese Vielzahl von Möglichkeiten kann Jugendliche auch überfordern. Der Arbeitsmarkt ist für Arbeitgeber immer enger. Das macht die Frage, mit welchem Personal wir Angebote machen können, zu einer ganz zentralen für uns. In diesem Wettbewerb sagen wir: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich auf uns verlassen können und umgekehrt. Klar müssen wir für attraktive Arbeitsplätze werben. Das bedeutet zu erklären, welche gestalterischen Möglichkeiten in unseren Einrichtungen vorhanden sind und wie unsere Entlohnung sich gestaltet
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------.
Info zur Person
Bernward Stelljes (62) absolvierte nach seinem Studium der Sozialarbeit an der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen NRW das Anerkennungsjahr beim Landschaftsverband Tecklenburg und beim Landesjugendamt. 1981 nahm er seine Tätigkeit als Sozialarbeiter in der Suchtberatung des Kreis-Caritasverbands Coesfeld auf. Im Juni 1986 wechselte er in die Suchtberatungsstelle des Caritasverbands Emsdetten-Greven und wurde später deren Leiter. Am 1. Oktober 1994 übernahm Bernward Stelljes als Geschäftsführer die Verantwortung für den gesamten Caritasverband. Seit Oktober 2018 übt er diese Aufgabe als Vorstand für die Bereiche Fachdienste und Personal zusammen mit Doris Abeler (Finanzen und Verwaltung) aus.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------