KREIS STEINFURT. Die vier Caritasverbände im Kreis Steinfurt sehen der Novellierung des Bundesteilhabegesetzes mit großer Sorge entgegen. Würde das Gesetz, das die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung regelt, in der geplanten Fassung verabschiedet, könnte sich die Lebenssituation von Betroffenen in Wohngruppen, Werkstätten und stationären Einrichtungen verschlechtern, befürchten die katholischen Wohlfahrtsverbände. Um ihre Bedenken und die Sorgen von Angehörigen zu erläutern, hatten die vier Caritasverbände Rheine, Tecklenburger Land, Emsdetten-Greven und Steinfurt alle Bundestagsabgeordneten des Kreises Steinfurt sowie Staatssekretär Karl-Josef Laumann zum Austausch eingeladen.
Die Caritasverbände sind kreisweit umfängliche Träger unterschiedlichster Wohnformen, Werkstätten und Einrichtungen der Frühförderung für Menschen mit Behinderung. "Wir wollen mit Ihnen konstruktiv und gemeinsam erörtern, wo sich Schwierigkeiten abzeichnen", eröffnete Dieter Fühner, Vorstand des Caritasverbandes Rheine, stellvertretend für seine Kollegen Detlev Becker (Tecklenburger Land), Bernward Stelljes (Emsdetten-Greven) und Gregor Wortmann (Steinfurt) die Gesprächsrunde in der Geschäftsstelle der Caritas in Rheine.
Mit der Gesetzesnovelle soll sich ein Paradigmenwechsel vollziehen. Fußte das Bundesteilhabegesetz bisher auf einem Verständnis von Fürsorge und Schutz für Menschen mit Behinderung, steht nun die Selbstbestimmung und Freiheit der Betroffenen im Mittelpunkt. Eingliederungshilfe soll in Zukunft stärker personenkonzentriert und den Bedürfnissen des einzelnen entsprechend gewährt werden.
Wie Volker Supe, Referatsleiter Behindertenhilfe des Diözesancaritasverbandes Münster, ausführte, begrüßen die Caritasverbände grundsätzlich das Ansinnen des Gesetzes. Große Schwächen gebe es allerdings in der Ausführung. Veränderungsbedarf sehen die Verbände zum Beispiel bei der Feststellung einer sogenannten erheblichen Teilhabebeschränkung. So sollen Leistungen der Eingliederungshilfe in Zukunft gewährt werden, wenn die Ausführung von Aktivitäten in mindestens fünf von neun Lebensbereichen nicht ohne personelle oder technische Hilfe möglich ist. Elternvertreter kritisierten die Formulierung als zu ungenau. "Das führt wieder zu Rechtstreitigkeiten, für die wir Angehörige am Ende keine Kraft mehr haben", so eine betroffene Mutter.
Auch die Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung sorgt für Unmut. Die Caritasverbände befürchten erhebliche Auseinandersetzungen mit den Leistungsträgern, in diesem Fall dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Kritisch bewertet wird auch die Trennung von Fachleistungen und Existenzsichernden Leistungen. Beziehe ein Mensch mit Behinderung Existenzsichernde Leistungen, werde er jeder Möglichkeit beraubt, für kleinere Anschaffungen zu sparen oder ein frei verfügbares Taschengeld zu nutzen.
Offenheit und Verständnis für die Ängste der Betroffenen bewiesen alle anwesenden Bundespolitiker, namentlich Jürgen Coße und Ingrid Arndt-Brauer (SPD), Anja Karliczek (CDU), Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/ Grüne) und Kathrin Vogler (Die Linke). Die Vertreter der Regierungskoalition sowie Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, räumten ein, dass sie von den Widerständen gegen die Gesetzesnovelle überrascht seien. Schließlich wolle die große Koalition die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen erreichen. Kathrin Vogler (Die Linke) und Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/ Grüne) lehnten die Gesetzesnovelle als unzureichend ab. Sie bemängelten unter anderem die fehlenden Wahlmöglichkeiten der Betroffenen und eine nur unzureichende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Die Vorstände und Geschäftsführungen der Caritasverbände baten darum, bei der Umsetzung des Gesetzes genau hinzuschauen, wie der Landschaftsverband seine Rolle als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ausfüllen wird. Anja Karliczek warb dagegen um Vertrauen. Die Umsetzung des Gesetzes werde wissenschaftlich begleitet und bewertet. Treten bei der Umsetzung Schwierigkeiten zu Tage, bestehe die Möglichkeit zu Nachbesserungen. Die Anwesenden verständigten sich darauf, das Thema in einem Jahr erneut zu erörtern. Dazu werden die Caritasverbände einladen.
Auf Einladung der Caritasverbände im Kreis Steinfurt stellten sich Staatsekretär Karl-Josef Laumann (2.v.r.) sowie die Bundestagsabgeordneten Jürgen Coße (r.), Friedrich Ostendorff (3.v.r.), Anja Karliczek (4.v.r.), Kathrin Vogler (6.v.r.) und Ingrid Arndt-Brauer (8.v.r.) den Fragen und Bedenken von Caritas-Verantwortlichen und Elternvertretern.