EMSDETTEN/GREVEN/SAERBECK. Als der CD-Player zum Auftakt der Probe streikt, bleibt Anja Nienhaus cool. Was wenige Wochen vor einem großen Auftritt manchen Chorleiter aus der Fassung bringen würde, stört die Sozialarbeiterin des Caritasverbandes Emsdetten-Greven nicht im Geringsten. „Dann starten wir erst mal so“, sagt sie, nimmt wie ihre Chormitglieder Aufstellung – und lässt mit grazilen Gesten ihren Körper sprechen. Die Anwesenden tun es ihr nach, die Augen streng auf die Chorleiterin oder den großen Spiegel an der Wand gegenüber gerichtet. Musik benötigt dieser Chor nicht wirklich. Die Lieder, die die mehr als 30 Frauen und Männer erklingen lassen, können sich sehen lassen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Sängergemeinschaft „Sing a Sign“ des Caritasverbandes ist ein Gebärdenchor – der einzige in der hiesigen Region.
Wenn der Caritasverband Emsdetten-Greven am Freitag, 8. April, in der Emshalle in Emsdetten zum großen Frühlingsball bittet, dann tragen die Chormitglieder ihre Lieder mit Gesten und Gebärden vor. Seit mehr als zwei Jahren gibt es den Chor „Sing a Sign“, was soviel bedeutet wie „Sing ein Zeichen“. Als der katholische Wohlfahrtsverband 2014 zum ersten Mal einen Ball für mehr als 500 Menschen mit und ohne Behinderung auf die Beine stellte, initiierte er auch einen Projektchor für hörende und hörgeschädigte Menschen. „Es wäre viel zu schade gewesen nicht weiterzumachen“, sagt Guido Gehrmann, Caritas-Mitarbeiter und Chormitglied der ersten Stunde. Regelmäßige Auftritte, zum Beispiel bei der Emsdettener Sportgala, zu diversen kirchlichen Veranstaltungen, mit einer Theatergruppe aus Münster oder beim Gehörlosenverein in Rheine hat der Chor inzwischen absolviert.
Längst singen nicht mehr allein haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter sowie Betreute im Chor. „Wir freuen uns, dass wir auch Emsdettener Bürgerinnen und Bürger begeistern konnten, im Chor mitzuwirken“, sagt Anja Nienhaus, die mit ihrer gehörlosen Kollegin Inga Stecknitz den Chor leitet. Inga Stecknitz ist seit der ersten Stunde dabei. Neben dem Dirigat kümmert sie sich um die Übersetzung der Lieder in Gebärdensprache. Dabei achtet sie nicht nur auf die eigene Grammatik der Deutschen Gebärdensprache, sondern auch auf die passende Optik der Gesten. „Die Gebärden sind größer und weiter und auch poetischer als in der normalen Gebärdensprache“, erklärt Anja Nienhaus.
Welch wichtige Rolle die Gestik spielt, wird bei der Chorprobe deutlich. Die Frauen und Männer legen ganz viel Gefühl in Gesichtsausdruck und Bewegung. Selbst ohne Musik, die für die Hörenden zur Orientierung abgespielt wird, bekommt der Zuschauer eine Ahnung, worum es in den Stücken geht. „Man versucht, noch mehr Gefühl in die Lieder hineinzulegen“, erklären die Chorleiterinnen. Susanne Haarz ist mit großer Leidenschaft dabei. „Ich habe noch nie ein Lied in Gebärdensprache gehabt“, freut sich die hörgeschädigte Frau, die gerne auf der Bühne steht. „Mein Großvater mochte die Schauspielerei, mein Vater hat gezaubert – und ich singe nun im Gebärdenchor“, erzählt sie lächelnd.
Musikalisch ist auch Insa Seegers. Trotz ihrer Behinderung spielt sie Akkordeon und Flöte. Warum sie bei „Sing a Sign“ mitmacht? „Wegen der Gefühle in den Liedern“, sagt sie. Sarah Wojtulek kann hören. Während eines Freiwilligen Sozialen Jahres hat sie beim Caritasverband die Gebärdensprache gelernt. Was sie am Singen in Gebärden schätzt? „Eigentlich gibt es keinen großen Unterschied zu einem normalen Chor: Man übt die Lieder, wiederholt sie, macht die Gebärden ganz bewusst und versucht, noch mehr Gefühl als beim Sprechen in Gebärden hineinzulegen.“
Bildunterschriften:
Gebaerdenchor_1:
Vor einem großen Spiegel proben Chorleiterin und Mitwirkende jede Liedzeile, bis alle Gebärden stimmig und synchron sind.
Gebaerdenchor_2:
Finger und Arme sind gefragt, wenn die Chormitglieder ihre Lieder vortragen.
Gebaerdenchor_3:
Die Worte einer Ballade drücken die Mitwirkenden in grazilen und ruhigen Bewegungen aus.