KREIS STEINFURT. Veränderte Lebensweisen von Kindern, Jugendlichen und Familien erfordern ein Umdenken bei allen Beteiligten der Jugendhilfe. So macht eine zunehmende Institutionalisierung von Kindheit und Jugend die Bereitschaft aller in der Jugendhilfe Tätigen zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung unerlässlich. Einen großen Schritt hin zu einer offenen und konstruktiven Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe haben nun die katholischen Jugendhilfeträger im Kreis Steinfurt getan. Mit einem ersten gemeinsamen Fachtag unter dem Thema "FamilienGestalten in neuer Verantwortung - eine Herausforderung für die öffentlichen und freien Jugendhilfeträger im Kreis Steinfurt!?" luden sie die Leitungen aller fünf Jugendämter im Kreis Steinfurt zum Dialog ein.
Vor rund 130 Vertretern der öffentlichen und freien Jugendhilfeträger sowie politischer Gremien im Kreis Steinfurt gingen die sieben Veranstalter - die Caritasverbände Rheine, Emsdetten-Greven, Tecklenburger Land und für das Dekanat Steinfurt e.V., die Caritas-Kinderheim gGmbH Rheine, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Kreis Steinfurt sowie der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. (SkF) Ibbenbüren - in Stroetmanns Fabrik in Emsdetten auf vielerlei Weise der Frage nach neuen Herausforderungen in der Jugendhilfe ein.
Den Einstieg in das Thema lieferte Professor Dr. Nadia Kutscher von der Universität Vechta mit ihrem Vortrag zum Thema "Aufwachsen in neuer Verantwortung - Ergebnisse des 14. Kinder- und Jugendberichts und zentrale Herausforderungen für die Jugendhilfe." Als Mitglied der Sachverständigenkommission dieses umfassenden Berichts der Bundesregierung gab die Professorin für Soziale Arbeit und Ethik einen tiefen Einblick in veränderte Lebensweisen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Mit einer zunehmenden Institutionalisierung von Kindheit und Jugend durch den Ausbau von U-3-Betreuung und Ganztagsschulen sei die Jugendhilfe mit ihren Leistungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Der Staat übernehme aber nicht nur Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit und unterstütze die Familie, er fordere gleichzeitig von den Eltern, ihre Erziehungsverantwortung wahrzunehmen und ihre Kinder möglichst optimal zu fördern. Die Ausweitung der öffentlichen Verantwortung führe dabei nicht nur zu einer stärkeren Unterstützung. "Sie ist teilweise mit verantwortlich für eine Reproduktion von Ungleichheit, auch im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe", so Kutscher.
Ein Plädoyer für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe hielt Heinz-Josef Kessmann, Direktor des Caritasverbandes für die Diözese Münster e.V.. Jugendhilfe sei kein Notnagel in Problemfällen, sondern eine Investition in die Zukunft unserer Kinder. Dabei dürfte die Jugendhilfe in der Mitte der Gesellschaft und die Jugendhilfe als Ausgleich von Nachteilen in besonderen Lebenslagen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kessmann: "Für eine zukunftsfähige Jugendhilfe sind Infrastrukturmaßnahmen ebenso nötig wie Einzelmaßnahmen."
Besonderen Handlungsbedarf machten sowohl Kessmann als auch Kutscher bei der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule aus. "Da rasen zwei Galaxien aneinander vorbei", beschrieb Kessmann den Ist-Zustand aus seiner Sicht.
Die Notwendigkeit, Grenzen an Schnittstellen wie der zwischen Schule und Jugendhilfe zu überwinden, sahen auch die Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion. Zum Dialog hatten sich von Seiten der öffentlichen Jugendhilfeträger mit Beate Tenhaken, Petra Gittner, Tilman Fuchs, Raimund Gausmann und Christian Büchter die Leitungen aller zuständigen Jugendämter und Fachbereiche im Kreis Steinfurt und seinen Kommunen zur Verfügung gestellt. Die Sichtweise der katholischen Jugendhilfeträger stellten Barbara Kurlemann, Geschäftsführerin des SkF Ibbenbüren, Christa Kriete, Fachdienstleiterin Ambulante erzieherische Hilfen der Caritasverbände Emsdetten-Greven e.V. und Tecklenburger Land e.V., sowie Norbert Dörnhoff, Geschäftsführer und Heimleiter der Caritas-Kinderheim gGmbH Rheine, vor.
Sie befassten sich mit Fragen zur Bedarfsermittlung und Aushandlungsprozessen in der Jugendhilfeplanung, zu Beteiligungsmöglichkeiten der Familien mit ihren Kindern und Jugendlichen, nach zukünftigen Herausforderungen in der Jugendpolitik, Schwachstellen in der Finanzierung und Ansätzen zur Optimierung der Zusammenarbeit. Auch unterschiedliche Sichtweisen zwischen öffentlichen und katholischen Jugendhilfeträgern wurden deutlich. So forderte Petra Gittner vom Jugendamt Emsdetten Veränderungsbereitschaft in der Ausgestaltung von Angeboten. Die Vertreter der katholischen Jugendhilfeträger wünschten sich ihrerseits eine stärkere Einbindung in die Bedarfsermittlung und Planungsprozesse. Dass die Einladung zum Fachtag und zum offenen Dialog ein guter Ansatz für die weitere Zusammenarbeit sei, bescheinigte Tilman Fuchs vom Jugendamt des Kreises Steinfurt den Veranstaltern: "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung."