Kamelle aus dem Drogenbeutel
Die Suchtberatung auf dem Rosenmontagsumzug in Emsdetten? Klingt nach einem Witz, ist aber wahr. Beim beliebten "Lindwurm der Freude" verteilen Mitarbeitende der Drogen- und Suchtberatung vom Caritasverband Emsdetten-Greven Kamelle und allerlei Info-Material. Auch wenn viele berauscht von den tollen Tagen dies kaum wahrnehmen, glaubt Nils Krabbe - Leiter der Beratungsstelle - auf diesem Weg viele Menschen auf die Angebote der Caritas zum Thema Sucht aufmerksam zu machen. In diesem Interview erklärt er, wie ein ernstes Thema an tollen Tagen Raum findet.
Auf welchem Wagen fährt die Suchtberatung denn beim Umzug mit?
Nils Krabbe: Weder auf dem Prinzenwagen, noch auf sonst einem. Wir sind mit vier Mitarbeitenden am Rande des Umzugs zu Fuß unterwegs. Aber: wir verteilen nicht nur Infos, sondern auch Kamelle.
Kommt ihr euch bei den feucht-fröhlichen Tagen als Spielverderber vor?
Nein, wir laufen einfach mit. Wir wollen niemandem sein Bier oder seinen Sekt verbieten. Salopp gesagt: Jeder Erwachsene muss selber wissen, was er tut und lässt. Aber wir weisen in diesem Trubel darauf hin, dass es durchaus Hilfe für all jene gibt, die ihren Konsum hinterfragen, begrenzen oder einstellen möchten - egal ob zeitlich begrenzt oder für immer. Dabei helfen wir. Um darauf hinzuweisen, verteilen wir unter anderem Bierdeckel.
Wie bitte?
Ja, aber natürlich alkoholfreie (lacht). Auf den Deckeln stehen neben einem angesäuselten Jogger nur zwei Worte: "Volllaufen lassen?" Und daneben ein QR-Code, der mit dem Handy gescannt auf unsere Angebote hinweist. Der Deckel regt quasi zwischen zwei Bier zum Nachdenken an. Übrigens verteilen wir auch schwarze Leinenbeutel mit der großen Aufschrift "Gratis Drogen" sowie der kleinen Zeile "Beratung" und einem QR-Code, der zu unserem Web-Auftritt führt. Eigentlich eine ganz coole Tasche für den ganzen Süßkram, den man beim Umzug so fängt und sammelt.
Meint ihr, dass ein Aufruf zum Verzicht so etwas lockerer rüberkommt?
Darum geht es nicht. Aber die Hemmschwelle, eine Beratungsstelle zu kontaktieren, wird leider als recht hoch empfunden. Die lockere Form soll das ändern. Wir sind für alle da, die über ihren Konsum reden möchten. Dazu muss man nicht abhängig sein. Die Gespräche verlaufen übrigens völlig ergebnisoffen. Ziele muss der Ratsuchende selbst definieren. Dabei helfen wir. Und wir unterstützen natürlich dabei, diese Ziele auch zu erreichen. Es geht nicht um Verzicht als Selbstzweck, sondern darum, schädliches Verhalten durch möglichst gewinnbringendes zu ersetzen.
Klingt einfach, ist aber schwer. Wie kann das gelingen?
Ob Feierabendbier oder Sektempfang vor einer Party: Mit Alkohol wollen wir meist unsere Gefühle manipulieren. Und machen wir uns nichts vor: Das wirkt und es wirkt schnell. Sonst wäre Alkohol nicht so präsent in unserer Gesellschaft. Aber es gibt eben viele andere Möglichkeiten, Emotionen zu regulieren ohne die zweifellos schädlichen Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum. Durch Bewegung, Sport, Begegnung oder kreative Ablenkung beispielsweise. Die kann jeder für sich entdecken und entwickeln.
Es geht um die Erweiterung der eigenen Möglichkeiten, also um Life-Style?
Kann man so sehen. Der reflektierte Umgang mit der Alltagsdroge Alkohol hat viel mit Selbstermächtigung oder Selbstwirksamkeit zu tun. Es geht natürlich darum, sich ohne ständigen Trinkdruck besser zu fühlen. Es verstört doch, dass Alkohol die einzige Droge in unserer Gesellschaft ist, deren Verzicht man offenbar fast immer vor anderen begründen muss. Das ist doch absoluter Quatsch. Jeder kann Alternativen finden und schätzen lernen.
Woran liegt dieser gefühlte Rechtfertigungszwang beim Verzicht?
Nun, weil viele Abstinenz als Reaktion auf eine Krankheit wahrnehmen und nicht als normale Alternative zum ständigen Mittrinken. Und Gelegenheiten gibt es ja reichlich in unserem Alltag, vom feucht-fröhlichen Vereinstreffen bis hin zum Trainingsbier nach dem Mannschaftssport. Alkohol gehört fast immer dazu. Das ist absurd. Keiner käme doch auf den Gedanken der Geselligkeit wegen Koks oder Cannabis anzubieten und gesundheitliche Folgen einfach mal so in Kauf zu nehmen. Dabei sind die negativen gesundheitlichen Folgen von Alltagsalkoholismus nicht wegzudiskutieren - wie bei allen anderen Drogen.
Wer gesellschaftlich akzeptiert mitttrinkt, sollte also lieber gleich zur Drogenberatung gehen?
Nein, natürlich muss niemand zu uns kommen. Aber es lohnt sich, schon frühzeitig Kontakt zu uns aufzunehmen. Zum Beispiel wenn man merkt, dass man immer mal wieder die Kontrolle über den eigenen Alkoholkonsum verliert.
Wie äußert sich das?
Ganz klassisch in der Einsicht am Tag danach, dass man mehr getrunken hat, als einem guttut. Das kann sich auf vielerlei Art zeigen, ob Kater, Filmriss oder schlechtes Gewissen. Eins ist klar: Je früher man sein Verhalten hinterfragt, umso einfacher kann geholfen werden. Mit anderen Worten: Wir haben noch nie jemanden weggeschickt, weil sie oder er zu wenig trinkt (lacht).
Was können sie tun? Wie sieht die Hilfe konkret aus?
Uns stehen im Netzwerk der Drogen- und Suchtberatung sehr viele Werkzeuge zur Verfügung: Vom regelmäßigen Gespräch über Selbsthilfegruppen bis hin zur Krisenintervention und Therapie-Vermittlung. Übrigens dürfen sich auch gerne Angehörige melden, die sich Sorgen um suchthaftes Verhalten ihrer Angehörigen oder Freunde machen. Bei uns findet jede und jeder ein offenes Ohr.
Die Hilfen für psychische kranke und suchtkranke Menschen des Caritasverbandes Emsdetten-Greven-Saerbeck ist in Emsdetten bei der Caritas in der Bachstraße 15 verortet und unter Tel. 02572/1570 erreichbar. Mittwochs gibt es von 15.30 bis 17 Uhr eine offene Sprechstunde in Emsdetten. Dienstags von 15.30 bis 17 Uhr in Greven. Kontakt per Mail: krabbe@caritas-emsdetten-greven.de