SAERBECK. Wenn der berühmte Satz des Philosophen
stimmt, dass ich bin,
weil ich denke, dann ist Demenz
das Schlimmste, was
dem Menschen widerfahren
kann: Selbstvergessenheit in
seinem grauenhaften Wortsinn.
Geistiges Verdämmern
– was für ein Schreckensbild:
Wenn man sein Leben
vergisst. Und keineswegs
eine Erfindung von heute.
Schon William Shakespeare
lässt seinen König Lear sagen:
„Mir scheint, ich sollte
euch kennen, und diesen
Mann auch, doch alle Kenntnis,
die ich habe, erinnert
sich nicht an diese Kleider,
auch weiß ich nicht,
wo ich
letzte Nacht gewohnt habe.“
Nicht auf den großen Bühnen,
sondern im Stillen und
Verborgenen leiden immer
mehr Menschen unserer älter
werdenden Gesellschaft
an verschiedenen Spielarten
der Demenz.
Kann der Verfall
auch nicht aufgehalten
werden, so finden sich, auch
in Saerbeck, Betreuer und
Helfer wie Maria Lüke und
Elisabeth Helmers, die im
Mehrgenerationenhaus das
„Café Freiraum“ betreiben.
Eingebettet ist das Betreuungsangebot
im HiLDA-Projekt
der Caritas. Die Abkürzung
steht für „Hilfe für demenziell
Erkrankte und deren
Angehörige. Jeden zweiten
Donnerstag treffen sie
sich im „Café Freiraum“, wo
die Betroffenen zwei Stunden
lang nach ihren Fähigkeiten
und Bedürfnissen beschäftigt
werden. Bevor es
losgeht, gibt es immer Kaffee
und Kuchen. „Darauf freue
ich mich jedes Mal wieder“,
sagt Reinhard, der mit seiner
Mutter seit Eröffnung des
Cafés das Angebot im
Mehrgenerationenhaus
nutzt.
„Ganz einfache Sachen“,
sagt Maria Lüke und macht
vor,
was sie meint, nachdem
die Kaffeetafel abgeräumt
ist: Ein blauer Luftballon,
den sich die Betroffenen
über den Tisch zuschubsen,
sorgt für beinahe kindliche
Heiterkeit.
Ein bisschen Small- Talk
übers Kochen und die Vorbereitung
einer Geburtstagsfeier,
dann holt Maria Lüke
auf Papier gemalte Buchstabenschnipsel
heraus und
lässt Reinhard und Brigitte
einfache Wörter legen: Name,
Beruf und Heimatort.
Die Betroffenen geben sich
ausgeglichen und zufrieden.
Und die Angehörigen können
für zwei Stunden mal
wieder durchatmen, die freie
Zeit für sich nutzen oder
mitspielen
und mitsingen.
„Ein paar freie Stunden am
Nachmittag“, sagt Maria Lüke,
„sollen für die
pflegenden Angehörigen ein Anfang
sein, den Kranken für kurze
Zeit in die Obhut anderer
Betreuer
zu geben. Sie können
dabei lernen, loszulassen
und sich in dieser Zeit selbst
zu entlasten. So können sie
neue Kraft schöpfen, damit
sie den Betroffenen weiter
zur Seite stehen und die nötige
Geduld und Zuwendung
aufbringen können.“
Das Angebot im „Café
Freiraum“ kostet pro Nachmittag
20 Euro plus drei
Euro für Kaffee und Kuchen;
Leistungen, die vom Betreuungsgeld
der Pflegekassen
bezahlt werden können.
„Wohlauf in Gottes schöne
Welt“, „Hoch auf dem gelben
Wagen“ und andere alte
Volkslieder beschließen den
Nachmittag, der überraschend
schnell vergeht. „Singen“,
sagt Maria Lüke, „geht
immer, sogar, wenn die
Sprache
eigentlich schon
weg ist.“
Auch wenn die Reise ins
Vergessen nicht aufzuhalten
ist: ein kurzer Halt im „Café
Freiraum“ macht sie für ein
paar Stunden heiter, harmonisch
und behaglich.
► Informationen über das
Café Freiraum“ gibt es unter:
℡ 02574/8666.
Maria Lüke (rechts) ist ausgebildete Krankenschwester und Koordinatorin des HilDA-Angebots; im Mehrgenerationenhaus ist sie verantwortlich für das Beschäftigungsangebot
im „Café Freiraum“.
Pressemitteilung
Kurzer Halt auf der Reise ins Vergessen
Erschienen am:
18.06.2015
Herausgeber:
Emsdettener Volkszeitung
Beschreibung