Sie ist Mitte 40, verheiratet, hat zwei Kinder mittleren Alters. Sie ist berufstätig, lebt im Bezirk des Caritasverbands Emsdetten-Greven - und hat mit der Drogen- und Suchtberatung der Caritas ihren Weg aus dem Alkoholismus gemacht. Wie es bei ihr mit dem Alkohol lief, warum Warnsignale übersehen werden und was auf dem Weg aus der Suchtkrankheit helfen kann, erzählt sie im Interview. Anja heißt eigentlich anders. Sie schildert ihre Geschichte, um Betroffene, Menschen mit Alkoholismus-Risiko und ihr Umfeld anzuregen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und um den Umgang mit der Droge Alkohol in der Gesellschaft zu beleuchten. Die Beraterin bei der Caritas, die sie nennt, ist Heike Budke.
Anja, was war für Sie der persönliche Anlass, Beratung und Hilfe beim Caritasverband zu suchen?
Anja: Ich hate schon länger Probleme damit, dass ich zu viel getrunken habe. Ich hatte das Gefühl, ich habe keine Kontrolle mehr darüber. Es war nicht so, dass ich immerzu betrunken war. Aber ich habe sehr regelmäßig getrunken. Das hat mein Leben schon sehr beeinträchtigt. Das wollte ich nicht mehr. Und ich wollte auch, dass es meiner Familie gut geht, meinen Kindern.
Welche Auswirkungen des Alkoholismus haben Sie selbst wahrgenommen, auf Sie, ihre Familie, die Arbeit, das soziale Umfeld?
Anja: Es hat mich sehr gestresst zum Teil. Ich war auch reizbar manchmal, natürlich, und konnte nicht so auf meine Kinder eingehen, wie ich das gerne wollte. Den Kindern ging es nicht schlecht, und mein Alltag hat auch noch gut funktioniert. Aber ich habe gemerkt, dass das etwas mit mir macht und dass mich das tatsächlich sehr beeinträchtigt hat. Ich hätte nicht einfach sagen können: Ich trinke jetzt mal eine Woche nichts. Das hätte nicht funktioniert.
Vereinzelt kamen auch Hinweise aus dem Umfeld. Und ich habe es an meinem Körper gemerkt, dass es ihm einfach nicht guttut.
Wie hat es begonnen mit dem Alkoholismus?
Anja: Das hat sich nach und nach aufgebaut. Meine Eltern waren selbst Alkoholiker. Dadurch habe ich nie richtig gelernt, mit dem Trinken aufzupassen. Und wenn man es merkt, ist es meistens schon zu spät. Jetzt weiß ich: Es hätte mir geholfen, wenn bei uns zuhause nicht so viel getrunken worden wäre, wenn Alkohol für mich nicht so normal gewesen wäre.
Man könnte sich das doch auch andersherum vorstellen: Wenn die Eltern selbst Alkoholiker waren, könnte man deshalb besonders vorsichtig und achtsam mit dem Thema werden. Gab es einen konkreten Auslöser bei Ihnen für Alkoholismus
Anja: Mir ist erst sehr spät durch Gespräche mit anderen klar geworden, dass meine Eltern Alkoholiker waren. Für mich war das immer ganz normal. Ich habe das erst mit Ende 20 für mich realisiert, als ich Beruf, Kinder und Familie unter einen Hut bekommen musste.
Mein Mann hat immer viel gearbeitet, ich musste mich um viele Dinge allein kümmern. Das war sehr anstrengend. Ich habe Alkohol dann genutzt, um abends zur Ruhe zu kommen, um überhaupt irgendwie runterzufahren. Im Grunde habe ich von morgens um sechs bis abends halbzehn, zehn Uhr den ganzen Tag gearbeitet. Ich habe Mühe gehabt, überhaupt schlafen zu können, weil ich so überlastet war. Dann ist es relativ viel geworden mit dem Alkohol.
Wie lange war die Phase, bis Sie gesagt haben: Da muss jetzt etwas passieren?
Anja: Die Phase hat schon ein bisschen angedauert. Die Erkenntnis kam eigentlich schon früher, aber vor Corona hatte ich es immer noch einigermaßen im Griff, dachte ich. In der Pandemie hat sich das so verstärkt und zugespitzt, dass ich gesagt habe: Ich muss jetzt etwas tun, so geht es nicht weiter. Es gibt nur noch zwei Wege, in die richtige oder in die falsche Richtung.
Wie haben Sie denn die Situation in der Corona-Pandemie erlebt?
Anja: Man war sehr viel zuhause. Ich habe in dieser Zeit nur Homeoffice gehabt. Ich musste mich um die Kinder kümmern, die Schule, die Arbeit, ums Essen, um den ganzen Haushalt. Mich hat das ganz stark belastet, auch dass man nicht wusste, wie es weitergeht. Es gab auch keine Kontrolle mehr. Dadurch, dass man ja nur zuhause war und nicht mehr zur Arbeit gefahren ist, war die Hemmschwelle noch geringer.
Hatten Sie sich bis Corona jemals mit dem Thema Suchterkrankungen beschäftigt?
Anja: Ich habe ja vorher schon gemerkt, dass etwas los war. Ich habe mich auch damit beschäftigt. Aber ich wusste einfach nicht, an wen ich mich wenden sollte. An meinen Hausarzt wollte ich mich nicht wenden, weil ich ihn dabei nicht für den richtigen Ansprechpartner gehalten habe und mich ehrlicherweise auch geschämt habe. Allgemein schämt man sich ja sehr in einer solchen Situation. Klar, es ist eine Erkrankung, aber wenn man selbst drinsteckt, dann fühlt man sich nicht gut. Es ist nicht so einfach, aus so einer Sucht herauszukommen.
Alkoholismus ist gesellschaftlich schlecht angesehen. Alle trinken. Aber Leute, die zu viel trinken, sind schnell abgestempelt.
Wie ist der Kontakt zum Caritasverband zustande gekommen?
Anja: Über einen Artikel in der Zeitung im vergangenen Jahr über die Suchtberatungsstelle. Ich habe den gelesen, noch ein bisschen mit mir gerungen, dann gedacht, ich muss jetzt etwas tun und einen Termin gemacht. Ich hatte vorher schon einmal Kontakt zur Caritas, als wir uns in Erziehungsfragen haben beraten lassen.
Bei der Caritas-Suchtberatung war ich mir sicher, dass da eine neutrale Person ist, die mich nicht kennt. Das war für mich auch wichtig.
Haben Sie dann angerufen oder die Online-Beratung genutzt?
Anja: Ich habe telefonisch über die Zentrale einen Termin gemacht, etwas später hat Frau Budke mich zurückgerufen.
Wie lief die Beratung zu Beginn ab?
Anja: Das war ein freundliches Kennenlernen mit ein paar Tränchen. Wir haben über meine Beweggründe gesprochen, warum ich gekommen bin, über Auslöser für den Alkoholismus. Frau Budke hat mir die Möglichkeiten erklärt und versucht zu klären, was zu tun ist
Welche Beratung und Unterstützung haben Sie dann bekommen?
Anja: Frau Budke und ich haben uns regelmäßig zu Gesprächen getroffen, die Situation bewertet, haben über die Auslöser gesprochen, darüber was letztlich dazu geführt hat.
Haben Sie sich ein konkretes Ziel gesetzt? Wie haben die Gespräche in der Caritas-Suchtberatung dabei gewirkt?
Ich habe schon am ersten Tag die Entscheidung getroffen, abstinent zu sein. Ich hatte mich vorher sehr intensiv damit beschäftigt, aber ich habe den Anfang nicht hinbekommen. Da fand ich die persönliche Begleitung sehr hilfreich. Das war der notwendige Schubs. Danach haben die Termine mit Frau Budke ausgereicht, ohne Therapie. Diese Begleitung hat mir Halt gegeben, meinen Entschluss auch umzusetzen.
Was hat sich in Ihrem Leben geändert seitdem?
Anja: Mir geht vom Kopf her viel besser, weil ich diese Last los bin. Körperlich geht es mir besser, ganz insgesamt fühle ich mich wohler. Ich habe viel bessere Laune, bin nicht so schnell gestresst. Ich bekomme alles viel besser hin als vorher, und dann noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Das ist toll, ich bin so glücklich, dass es jetzt so ist. Meine Tochter spiegelt mir das auch.
Alkoholismus ist eine hinterhältige Suchterkrankung. Aus Ihrer persönlichen Erfahrung: Auf welche Anzeichen sollten Menschen, die gefährdet sind, achten?
Anja: Wenn man nicht mehr einfach so ein Glas trinkt, sondern der Alkohol eine Funktion erfüllt. Wenn man dadurch gut drauf sein, entspannen will. Wenn man jeden Abend trinkt, um zur Ruhe zu kommen oder um Spaß zu haben und ansonsten schlecht drauf ist. Dann sollte man dringend etwas tun. Andere Menschen sollten hinsehen, wenn jemand auf jeder Party betrunken ist.
Verbinden Sie einen Wunsch mit Ihrer persönlichen Offenheit in diesem Gespräch?
Anja: Ich würde mich freuen, wenn dieses Interview Menschen mit Alkoholproblemen ermuntern kann, die Hemmschwellen und Unsicherheiten zu überwinden und sich Hilfe zu suchen.
Gesellschaftlich finde ich es schwierig, dass es fast schon verpönt ist, bei gewissen Anlässen nichts zu trinken. Egal wo man hinkommt, ob Geburtstag oder etwas anderes, fast immer wird Alkohol getrunken. Ich finde es schwierig, wenn man sich fast schon rechtfertigen muss, dass man nichts trinkt, weil das viel eher auffällt, als wenn jemand trinkt. Das ist für abstinente Alkoholiker nicht leicht. Ich glaube außerdem, das bereitet für manche den Boden, um in Probleme zu kommen. Und es verstellt die Sicht auf das Problem, weil ja alle etwas trinken.
Anja, wir danken für das Gespräch
Im Rahmen der bundesweiten "Aktionswoche Alkohol" hat der Caritasverband Emsdetten-Greven das Thema unter anderem mit Faltblättern im Scheckkartenformat in die Öffentlichkeit und in Arztpraxen getragen.
Die Drogen- und Suchtberatung bietet Hilfe bei Alkohol- Drogen- und Spielsucht an. Das Angebot ist kostenfrei und richtet sich sowohl an Betroffene als auch an Angehörige. Die Berater*innen unterliegen der Schweigepflicht. Um mit Drogen- und Suchtberatung der Caritas in Kontakt zu kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Terminvereinbarungen zu persönlichen Gesprächen sind während der Öffnungszeiten (Montag - Freitag 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr und 14.00 bis 16.30 Uhr) persönlich oder telefonisch, sowie per E-Mail möglich.
Neben der persönlichen Beratung ist auch eine telefonische oder Videoberatung möglich.
Die Online-Beratung ist für jeden zugänglich, der offene Fragen oder Sorgen hat und diese nicht direkt in der Beratungsstelle klären möchte oder kann, sei es aus zeitlichen Gründen oder um erst einmal anonym zu bleiben. Zur Online-Beratung geht es über die Homepage des Caritasverbands.
Kontakt: Caritasverband Emsdetten-Greven, Drogen- und Suchtberatung, E-Mail: beratung@caritas-emsdetten-greven.de, Tel. 02572/ 1570 (Emsdetten) oder Tel. 02571/ 80090 (Greven).