Scheidender Caritasvorstand Bernward Stelljes über seinen Verband und die Herausforderungen
Poahl halten und hintun
Bernward Stelljes hat am Freitag seinen letzten Arbeitstag als Hauptamtlicher Vorstand des Caritasverbands Emsdetten-Greven. Der gelernte Sozialarbeiter begann seine Arbeit im Verband am 1. Juli 1986 in der Suchtberatung, deren Leiter er 1989 wurde. 1994 wurde er zum Geschäftsführer berufen und wechselte 2016 in die neu geschaffene Funktion des Hauptamtlichen Vorstands.
1957 in Münster geboren, kam Bernward Stelljes über die kirchliche Jugendarbeit zur Sozialarbeit. Er lebt in Osnabrück. Über 37 Jahre Arbeit und fast drei Jahrzehnte Leitungsverantwortung im katholischen Wohlfahrtsverband ziemlich genau zwischen Münster und Osnabrück spricht er mit uns im Interview.
Herr Stelljes, was ist die erste Erinnerung an den Caritasverband?
Bernward Stelljes: Ich bin hier 1986 auf den Parkplatz gefahren und in die Suchtberatung gegangen. Wir haben zusammengesessen und über die Aufgabenverteilung gesprochen, über organisatorische Aufgaben - und über das nächste Betriebsfest.
Sie sind der Hauptamtliche Vorstand von was genau?
Stelljes: Der Caritasverband Emsdetten-Greven hat 480 bis 500 hauptamtliche Mitarbeiter in Emsdetten, Greven, Saerbeck und an unserem Standort in Münster. Außerdem gibt es 300 Freiwillige und Ehrenamtliche, zum Beispiel in unseren Tafelstandorten. Wir sind ein ernstzunehmender Faktor in der psychologisch-sozialen Beratungs-, Betreuungs- und Pflegelandschaft.
Wie sehen Sie aktuell den Verband aufgestellt?
Stelljes: So wie wir die Arbeit tun, ist das eine gute Grundstruktur. Wichtig ist mir immer gewesen, dass die Fachbereiche kooperieren, um für Menschen in der Region möglichst optimale Hilfsangebote machen zu können. Das unterscheidet uns von monostrukturierten Trägern, die etwa nur Altenhilfe machen. Wir sind kein Großhandel, sondern in der vernetzten Vielfalt unserer Angebote eher ein Feinkostladen. Jetzt ist die zukunftsgewandte, spannende Frage: Wie ist es möglich das, was in den vergangenen Jahrzehnten auch unter meiner Verantwortung entstanden ist, stabil zu erhalten. Dabei ist es auch wichtig, das offene und kreative Verhältnis zu den Kirchengemeinde als unseren Trägern zu pflegen.
Der Bedarf nach den Angeboten und Diensten des Caritasverbands ist hoch und wächst weiter. Inwiefern stellt sich die Frage nach stabilem Erhalten?
Die Umgebung hat sich sehr stark verändert und tut es weiter. Wir erleben jetzt schon auf der Bundesebene, dass Kürzungsbeträge eingeführt werden sollen, zum Beispiel beim Freiwilligen Sozialen Jahr oder der Migrationsberatung. Das wird sich auf die Landesebene und auf die kommunale Ebene runterbrechen, weil nicht mehr so viel Geld zur Verfügung steht. Wir haben gleichzeitig zu dem, was die Corona-Pandemie ausgelöst hat, mit der Klimakatastrophe und dem Krieg in der Ukraine parallele Krisen zu bewältigen, die auch finanzielle Auswirkungen haben. Die Debatten um das, was man sich leisten kann, kommen und werden noch stärker werden.
Die andere Frage ist: Mit welchem Personal können wir etwas leisten. Das unterscheidet die Situation heute im Vergleich zu 1994 gravierend. Wir müssen uns jetzt fragen: Wie attraktiv sind wir als Arbeitgeber und finden wir noch genügend Interessenten für die Dienste und Einrichtungen, die wir vorhalten. Das hat sich schon in den vergangenen Jahren bemerkbar gemacht und verdichtet sich immer mehr.
Ich selbst bin mit meiner Berufsbiografie ein Dino, ein Auslaufmodell. Die Dauerhaftigkeit von Mitarbeiterbeziehungen hat sich durch die Jahre verändert. Themen wie Work-Life-Balance bekommen eine andere Bedeutung. Und es gibt für die Aufgaben einfach weniger Interessenten. Wenn man den Bereich Pflege nimmt, passt das Verhältnis nicht von Anfragen, die wir von Klienten bekommen, zu dem, was wir leisten können mit dem Personal, das wir haben.
Wie sieht es da auf der kommunalen Ebene aus, die maßgeblich an der Finanzierung einiger Dienste des Caritasverbands beteiligt ist?
Stelljes: Die Situation der kommunalen Haushalte lässt Debatten über Einsparungen erwarten. Ich würde mit harten Prüfungen rechnen im Bereich der freiwilligen Leistungen der Städte und Gemeinden. Das hätte selbstverständlich Auswirkungen auf de Leistungen des Caritasverbands. Die Frage lautet: Wie viel weniger Geld wird es und welche Leistungen werden dann in welchem Umfang gekürzt? Da sind verantwortlichen Entscheidungen auf beiden Seiten gefragt.
Nochmal zurück zum Thema Personal. Fachkräftemangel ist überall Thema. Läuft es in der Verknüpfung Geld und Personal für den Caritasverband auf eine Schrumpfung hinaus?
Stelljes: Das weiß ich noch nicht. Zurzeit geht es etwa in der Altenpflege darum, den Standard zu erhalten. Das wird schon eine Herausforderung. Hier genügend geeignetes Personal zu finden, ist nicht einfach. Wir sind da ständig unterwegs. Aber ich glaube, der Verband muss sich an bestimmten Stellen damit befassen: Wie weit können Standards erhalten werden? Oder an welchen Stellen muss es andere Ideen geben, wie Betreuung sicherzustellen ist. Diese Frage ist umfassend. In der Eingliederungshilfe, in unseren Wohnhäusern der Behindertenhilfe oder im betreuten Wohnen stellen wir in Teilen ähnliche Tendenzen fest. Teilweise jetzt schon mit der ganz konkreten Frage: Wie bekommen wir die Dienstpläne abgedeckt?
Hinzu kommt: Aus der Corona-Zeit gibt es weiter Nachwirkungen bei der Belastungssituation von Mitarbeitenden. Da muss man zugestehen, dass ein Gang zurückgeschaltet wird. Das sind Entwicklungen, die waren nicht absehbar wie die Klima-Katastrophe.
Dieses mehrfache krisenhafte Geschehen betrifft nicht nur unsere Klienten, Patienten, Bewohner und Kunden, sondern unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch. Es kommt alles viel dichter, viel näher, als vielleicht noch vor Jahrzehnten. Das auszuhalten ist nicht einfach und im psychosozialen Arbeitsfeld besonders aufwendig. Diesen ganzen Komplex sehe ich als Hauptthemenfeld an, das bedacht werden muss.
Ich halte es da mit dem Spruch meiner Großeltern, den sie mir immer auf Plattdeutsch sagten: Da musst du dich mit hintun! Wir haben nur das , was wir haben. Und mit dem müssen wir etwas machen. Da ist die Anstrengung und Kreativität aller herausgefordert, damit in nächster Zeit umzugehen.
Auswirkungen auf die Mitarbeitenden des katholischen Wohlfahrtverbands Caritas hat auch die Haltung der Kirche etwa in Fragen der Sexualmoral. Ist das eine Belastung?
Stelljes: Wir haben seit Jahrzehnten als gelebte Praxis: Bei der Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Personalentwicklung ist die sexuelle Orientierung nicht zentral. Dass dieser Punkt mittlerweile formal im Kirchenrecht auch anders geregelt worden ist, war lange überfällig. Man könnte die Caritas allerdings dafür kritisieren, zu diesem Thema nicht früher und stärker den Mund aufgemacht zu haben. Wir sind ein bunter Laden bei Ethnien, Professionen und Orientierungen. Das finde ich wunderbar.
Der CV ist im Grunde genommen für benachteiligte Menschen da. Nun gibt es Diskussionen, Entwicklungen und Tendenzen in der Gesellschaft, die den Stellenwert dieser Klientel und des CV durchaus betreffen? Wenn zum Beispiel gesagt wird: Inklusion ist ein Irrweg. Wie sollte ein Caritasverband damit umgehen?
Stelljes: Die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Diskussionen betreffen uns natürlich. Als CV müssen wir "Poahl halten", wie man so schön sagt. Wir sind zum Beispiel für Migranten da und zuständig. Wir müssen ihnen Möglichkeiten der Betreuung bieten und der Beratung. Die Arbeit der Tafel zum Beispiel ist sozialpolitisch immer umstritten. Aber das Thema Armut, das damit verbunden ist, wird in Emsdetten, Greven und Saerbeck weiter bedeutsam sein. Als Caritasverband werden wir uns mit den Menschen, die wir begleiten und betreuen, nicht unbedingt überall beliebt machen.
Wir waren in der Vergangenheit schon nie jedermanns Liebling, aber jetzt kommt mehr zusammen: Verteilungsfragen spielen eine größere Rolle, das Verhältnis zu Menschen am Rande verändert sich in bestimmten politischen Optiken. Da sind wir wirklich aufgefordert dagegen zu halten ohne Wenn und Aber. Und auch uns für diesen demokratischen Rechtsstaat weiter einzusetzen und die Rechte und Pflichten, die sich daraus ergeben. Wenn man mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen konfrontiert ist, gibt es nur sehr wenig Spielraum um Diskutieren.
Gesellschafts- und sozialpolitisch hat der Stellenwert, der unserer Klientel zugesprochen und wie ihr entgegengetreten wird, eine große Bedeutung. Das sehen wir. Aber das kann und darf nicht die Folge haben, dass wir auf einmal erster und zweiter Klasse beraten. Es kann sein, wenn bestimmte Gelder auf Dauer nicht mehr fließen, dass Entscheidungen getroffen werden müssen, bestimmte Aufgaben nicht mehr zu machen. Aber dann muss man gleichzeitig überlegen, wie man das anders machen oder organisieren kann. Ich sehe da am Horizont einiges Ungemach.
Am Freitag ist der letzte Arbeitstag. Wie sieht der letzte Blick auf den Verband aus, den Sie fast drei Jahrzehnte geleitet haben?
Stelljes: Wir sind über die Jahrzehnte ein recht komplexes Gebilde geworden. Ich und auch andere haben das nicht so gemerkt, weil wir dieses Gebilde ja mitentwickelt haben und damit gewachsen sind. Ich wünsche mir, dass der Caritasverband sich immer wieder an bestimmten Punkten neben sich stellt und sich fragt: Was machen wir da? Das Selbstbild, mit dem wir auftreten, muss immer wieder hinterfragt werden. Wir müssen nicht unterm Teppich Fallschirmspringen, aber auch nicht immer als Erster "hier" rufen.
Nach so langer Zeit in Leitungsverantwortung wird mit meinem Weggang wahrscheinlich auch eine Art Kulturveränderung innerhalb des Verbands verbunden sein. Aber auch die Gremien unseres eingetragenen Vereins als Träger, der Caritasrat und die Delegiertenversammlung, müssen sich perspektivisch personell weiterentwickeln bei ihrer Zusammensetzung und die Punkte Geschlecht und Alter bedenken.
Mehr lachendes oder weinendes Auge beim Abschied?
Stelljes: Ich bin jetzt 66 Jahre und hätte noch bis Ende des Jahres den Vertrag gehabt. Aber der Nachfolger ist quasi bereits an der Arbeit. Da gehe ich zu Ende September in den Ruhestand.
Ich bin ja kein Emsdettener, Grevener oder Saerbecker. Das ist für mich ein Abschied von einer Region, der ich mich fachlich-inhaltlich sehr verbunden gefühlt habe. Ich weiß noch nicht, wie sich das anfühlt, wenn das nicht mehr ist. Da wird ein Lebensabschnitt abgeschlossen. Mit etwas Distanz werde ich mir aber gewiss das eine oder andere noch ansehen.
Was wird denn Ihre letzte Tat beim Caritasverband und was Ihre erste Tat im Ruhestand?
Stelljes: Das letzte wird sein, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Leitungskonferenz eingeladen sind, sich zu verabschieden. Am Tag danach werde ich mein Büro leerräumen. Was ich am Montag mache, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich die Kartons aus dem Büro zuhause in Osnabrück ausräumen und mir überlegen, wo ich die Bilder aufhänge. Dann wird es Zeit geben, um Menschen zu treffen. Der katholischen Kirche bleibe ich mit ehrenamtlicher Ausschussarbeit erhalten und werde dort die Fahne der Caritas hochhalten. Dem Kreis Steinfurt bleibe ich gewiss mit Fahrradtouren verbunden, das habe ich immer gut gefunden. Aber dieser neue Lebensabschnitt für mich muss sich entwickeln.