Vor einer Woche hat der Caritasverband für das Dekanat Bocholt e.V. Insolvenz angemeldet. Grund genug, mal hier vor Ort nachzufragen, wie so etwas passieren kann und wie es um die Finanzen des Caritasverbandes Emsdetten-Greven e. V.bestellt ist. Die Vorstände André Diecks und Klaus Wilp stehen Rede und Antwort.
Welche Gefühle hat die Nachricht aus Bocholt bei Ihnen ausgelöst, wo ein durchaus vergleichbarer Caritasverband Insolvenz angemeldet hat?
André Diecks: Ich war ehrlich schockiert. Vor allem, weil dort rund 900 Beschäftigte unmittelbar betroffen sind. Tröstlich ist nur, dass die Insolvenz in Eigenverantwortung gemanagt wird. Der laufende Betrieb geht vorläufig weiter und Gehälter werden bezahlt. Trotzdem ist es für alle eine schwierige Situation.
Klaus Wilp: Das ging mir genauso. Ich habe in erster Linie an die vielen engagierten Mitarbeitenden bei der Caritas Bocholt gedacht, die sich nun fragen, wie es weitergeht. Und natürlich an die Menschen, die dort auf die Hilfe der Caritas angewiesen sind. Jede Insolvenz löst Ängste aus, Vertrauen geht verloren. Das gilt es nun schnellstmöglich wiederzugewinnen.
Wie kann ein Wohlfahrtsverband überhaupt pleitegehen?
André Diecks: Auf dieser Ebene funktioniert ein regionaler Caritasverband wie jedes Unternehmen. Wenn mehr ausgegeben als eingenommen wird, droht Zahlungsunfähigkeit. Über die Ursachen in Bocholt wollen und werden wir hier nicht spekulieren. Aber alle Wohlfahrtsverbände haben mit Kostensteigerungen im Bereich Personal, Energie und Material zu kämpfen, die sie teilweise nicht gegenfinanziert bekommen. Klaus Wilp: Ja, das sehe ich auch so. Die Aufgaben werden nicht weniger, aber die Finanzierung in vielen Bereichen schwieriger. Für unseren Verband kann ich aber klar sagen: Wir stehen finanziell seit Jahren auf einer sehr soliden Basis. Die jüngste Bilanz von 2024 wies einen Überschuss aus und im aktuellen Wirtschaftsjahr sieht es ähnlich aus. Das liegt aber auch an dem solidarischen Verständnis, das uns die unterschiedlichen Kostenträger hier in teils harten Verhandlungen entgegenbringen. Das ist nicht überall so.
Müssen Verbände wie Ihrer nun den Bocholter Caritasverband e.V. mitfinanzieren?
Klaus Wilp: Ganz klar: Nein. Bei aller Solidarität, die wir als vergleichbarer Verband empfinden: Alle sogenannten Rechtsträger des Deutschen Caritasverbandes arbeiten selbständig. Das sind übrigens bundesweit über 6000 mit fast 700.000 Beschäftigten. Das heißt, sie organisieren sich entlang ihrer Aufgaben vor Ort und stehen damit auch finanziell erst einmal für sich.
André Diecks: Das ist auch so gewollt. Denn diese Rechtsträger sind sehr unterschiedlich aufgestellt, je nach Größe, Region und Aufgabenfeld. Was sie alle eint, ist das christliche Menschenbild sowie der Dienst an Menschen in Not. Aber betriebswirtschaftliche Entscheidungen und Personalfragen werden vor Ort geklärt. Eine zentrale Steuerung in wirtschaftlichen Belangen existiert nicht, wenn gleich wir schon auf diözesaner Ebene wirtschaftliche Beratung erhalten können und auch mit den benachbarten Caritasverbänden untereinander vernetzt sind. Grundsätzlich gilt aber: Obwohl der Deutsche Caritasverband ob seiner Größe wie ein Konzern wirkt, der Unterschiede in den Geschäftsbereichen ausgleichen kann, sind die regionalen Verbände selbstverantwortlich.
Ist das nicht ein Nachteil in Finanzdingen?
André Diecks: Könnte man meinen. Aber ich würde das nicht so sehen. Die sozialen Dienste und Einrichtungen unserer Caritas finanzieren sich sehr unterschiedlich. Meist handelt es sich dabei um eine Mischung aus öffentlichen Mitteln von Bund, Ländern und Kommunen, Geld aus den sozialen Sicherungssystemen wie Kranken- und Pflegekassen sowie aus Kirchensteuern, Spenden und Eigenmitteln. Dieser Mix ist hoch komplex und von zu vielen lokalen Faktoren abhängig, als dass man ihn zentral steuern könnte.
Klaus Wilp: Eben. Die Finanzierung variiert von Aufgabe zu Aufgabe und auch von Ort zu Ort. Wohnheime arbeiten zum Beispiel mit einem anderen Finanzierungsmix als Beratungsstellen, die stationäre Altenhilfe finanziert sich anders als die mobile Jugendhilfe. Aber eins ist klar: Jedes soziale Handeln muss auf seriöser Kalkulation basieren.
Wie gelingt das denn hier vor Ort?
André Diecks: Das ist natürlich nicht einfach. Wir arbeiten in Emsdetten, Greven und Saerbeck mit 56 Kostenstellen und weit mehr Aufgabenfeldern, die in die Finanzplanung einfließen. Das ist eine Managementaufgabe, die eine präzise, saubere Kostenkalkulation erfordert und ebenso viel Fingerspitzengefühl und Kommunikation benötigt. Unsere Vorgänger haben da gute Grundlagen gelegt: Die Finanzierung muss passen, konstant und verlässlich, genau bis in die Nachkommastellen. Nicht alles, was wir gerne tun würden, können wir uns auch leisten.
Wird den trotz der schlechten Nachrichten aus Bocholt hier weiter investiert?
Klaus Wilp: Aber ja. Fürs kommende Jahr realisieren wir unter anderem den Neubau "Wohnanlage Pfarrer Bernhard Volkenhoff" für Menschen mit psychischen Erkrankungen in Emsdetten. Außerdem sanieren wir die Tafel und unsere Geschäftsstelle in Greven sowie das Haus Tobias dort, wo Menschen mit Behinderungen leben. Wie gesagt: Die Aufgaben werden ja nicht weniger, auch wenn viele Finanzierungen einfach anstrengender werden.
