Der Arzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Palliativmedizin und Schmerztherapie aus Witten war auf Einladung des Initiativkreises Palliativmedizin am haus hannah zu Gast in Stroetmanns Fabrik. Unter dem Thema „Weniger ist mehr“ forderte der Bestsellerautor vor mehr als 400 medizinischen Fachkräften und Ehrenamtlichen der Region ein Ende von Übertherapie am Lebensende. Wie wertvoll gerade diese letzte Lebensphase für den einzelnen Menschen sein kann, betonte Michael Kreft, Leiter des Hospizes „haus hannah“ zu Beginn der Veranstaltung.
Dass die Organisatoren mit der Wahl ihres Referenten einen Nerv getroffen hatten, zeigte die große Resonanz auf die Fortbildung. „Mit mehr als 400 Anmeldungen haben wir einen Rekord erzielt“, freute sich Ansgar Kaul, Fachbereichsleiter im Caritasverband Emsdetten-Greven und Mitglied des Initiativkreises. „Betroffene sind in der Regel völlig unvorbereitet. Sie treffen auf eine Hochleistungsmedizin und einen Apparat, in dem es auch ums Geldverdienen geht“, beschrieb der Emsdettener Palliativmediziner Dr. Joachim Kamp zum Auftakt das Dilemma, in dem viele Schwerstkranke und deren Angehörige stecken.
Mit welch skrupellosen Methoden schwarze Schafe der Branche vorgehen, um finanziell lukrative lebenserhaltene Therapien auch gegen den Patientenwillen durchsetzen, beschreibt Dr. Matthias Thöns in seinem Buch „Patient ohne Verfügung – Das Geschäft mit dem Lebensende“. In seinem Vortrag nannte er zahlreiche Beispiele, wie alte und schwerstkranke Menschen im Rahmen der Apparatemedizin behandelt werden, obwohl kein Therapieerfolg zu erwarten ist. Er schilderte viele Beispiele aus seinem Praxisalltag, wie Menschen enormes Leid ertragen müssen, weil die Hochleistungsmedizin keinen Raum für ein würdevolles Abschiednehmen lässt.
Nachdenklich stimmen die Fälle, in denen Schwerstkranke entgegen ihrem in einer Patientenverfügung geäußerten Willen, mit aufwändigen Therapien am Leben erhalten werden. „Machen Sie eine Patientenverfügung, auf jeden Fall. Aber sorgen Sie dafür, dass Sie Bevollmächtigte einsetzen, die taff genug sind, Ihren Willen auch durchzusetzen“, riet Dr. Matthias Thöns. Er kritisierte die Zulassung kostspieliger Präparate in der Chemotherapie, deren lebensverlängernde Wirksamkeit fraglich ist. „Wenn ich einen Patienten offen frage, ob er wirklich sechs Monate brechen möchte, um am Ende elf Tage länger zu leben, was würde er wohl antworten?“
Der Palliativmediziner mahnte einen konsequenten Ausbau der Palliativmedizin an. „Studien zeigen: Schwerstkranke, die frühzeitig palliativ betreut werden, erfahren eine höhere Lebensqualität, sie neigen weniger zu Depressionen und sorgen in vielen Fällen für eine längere Lebenszeit.“ Nach einer Diskussionsrunde mit zahlreichen Wortbeiträgen gab Dr. Matthias Thöns seinen Zuhörern einen Rat: „Helfen Sie den Betroffenen, aus der Patientenrolle herauszugehen. Die letzte Lebensphase kann sehr schön sein, wenn man das Unausweichliche akzeptiert.“
Die Vertreter des Initiativkreises und der Referent waren beeindruckt von der großen Resonanz auf die Fortbildung: (v.l.) Dr. Dieter Scholtyssek, Dr. Cüneyt Bilecen, Michael Kreft, Referent Dr. Matthias Thöns, Dr. Joachim Kamp und Ansgar Kaul.